Die Abnabelung von meiner Familie

Viele wissen ja, dass ich von Eichhörnchen aufgezogen wurde. Hört sich verrückt an, aber ist eben so. Ich kann perfekt auf Bäumen herumturnen, knacke Nüsse mit Eckzahn und Eckzahn und weiß, wie ich meinen Schwanz bewegen muss, dass man mich in Eichhörnchenkreisen gut versteht.
Gibt darüber schon entsprechende Texte, aber ich habe nie geschrieben, wie ich mich von meiner EichhörnchenFamilie abgenabelt habe. Das war ein schmerzlicher Prozess, der jetzt im Alter ein wenig milder in der Erinnerung gärt. Ich traue mich also ran.
Ich war 13 Jahre alt und kam in die Pubertät. Eine Zeit, in der man alles und jeden in Frage stellt. Natürlich auch die eigene Familie. Man spürt, dass man den festen, familiären Halt eigentlich gar nicht mehr benötigt und das man am eigenen Schwanz hängen kann. Letzteres ist nur metaphorisch gemeint. Ich habe es körperlich nie geschafft.
Nun kam es, dass ein Jäger immer wieder unter unserem Baum vorbeilief. Die Flinte kratzte dabei unter den Ästen entlang und manchmal sah man über seiner Schulter ein Wildschwein oder Reh. Dies schien mir sehr interessant. Mir war mein Menschsein noch nicht bewusst, da wir keinerlei Spiegel hatten und die Spiegelung eines Flusses war zu rauschig. Klar, ich war größer, hatte sehr viel weniger Fell und auch mein Kehlkopf machte andere Laute, aber für mich war ich ein waschechtes Eichhörnchen. Nur größer halt.
Irgendwann kam der Jäger wieder. Das geschah meist in der Früh. Man hörte dann die Äste unter seinen Schuhen knacken und seine Kleidung knistern. Aber diesmal war er nicht alleine. Er hatte einen kleineren Menschen dabei. Einer, der sich noch umschaute und staunte. Er war wohl so alt, wie ich.
Wie vom Schlag getroffen schaute ich auf ihn herab, erkannte die Zusammenhänge und fiel herab.
Aufgewacht bin ich dann in einer fremden Umgebung und brauchte sehr starke Beruhigungsmittel. Der Jäger hatte mich in ein Krankenhaus gebracht. Eine Pflegefamilie wurde mir dann später zugeteilt und nun stehe ich da, wo ich stehe.
Keine Ahnung, wie es meiner echten Familie geht. Der alte Baum ist leer.

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